6.04 Uhr
Wie bin ich hier hereingeraten?: Ich sitze mit verschränkten Beinen auf einem kleinen runden Kissen und habe vierzig Minuten bewegungsloses Schweigen vor mir. Danach dreißig Minuten und wieder dreißig Minuten – und das Tag um Tag.
Mir fällt Shakyamuni Buddha ein:
„Und wenn nur noch Knochen von mir übrigbleiben, wenn mein Blut und meine Innereien verdorren: ich stehe nicht eher auf, als bis ich die Wahrheit durchschaut habe!“ [1],
hatte er vor über 2500 Jahren gelobt, als er sich unter den Bodhi-Baum setzte, um die Fragen seines Lebens zu lösen. Diese Entschlußkraft, diesen Mut wünsche ich mir.
Ich hatte mir damals, vor über zehn Jahren, nur eine Viertelstunde vorgenommen. In einem Buch hatte ich die Fotos gefunden, wie man sitzt. Ein Kissen, wie es da beschrieben stand, hatte ich nicht. Zafu nannten sie in dem Buch dieses mit Kapok oder Buchweizenspelze gefüllte Kissen, das man sich unter den Hintern schieben sollte. Statt des Zafu nahm ich eine alte Decke und rollte sie eng und schlang einen Gürtel darum, damit es hielt. Eine andere Decke hatte ich mir unter die Knie gelegt. Ich war alleine. Mir kam es seltsam vor, was ich versuchte, darum achtete ich darauf, alleine zu sein. Ich wollte mich auf diese gerollte Decke setzen und davor meine Beine kreuzen, soweit es ging. Ich wollte dann meine Hände im Schoß übereinander legen, meinen Rücken aufrecht halten und mit offenen Augen fünfzehn Minuten ausharren, ohne mich zu rühren. Das wollte ich ohne Zuschauer tun, denn mir erschien das Vorhaben lächerlich.
So zu sitzen, Za-Zen, die Haltung des Buddha, sei »das Herz des Zen«, hatte ich gelesen. Nur aus dieser Haltung heraus sei Erleuchtung zu erlangen und 2500 Jahre Zen und Buddhismus zu verstehen.
Erkenntnis und Erleuchtung suchte ich, die Wahrheit über Leben und Tod, und Befreiung von Schmerz und Leid. Zazen versprach Medizin.
Kaum hatte mein Po die Decke berührt, kaum waren die Beine gekreuzt, überfiel mich eine graue Leere. Ich merkte nach Minuten meine Knöchel, wie sie sich in den Boden bohrten. Mein Atem ging unruhig und ich fühlte eine Langeweile, die mich ängstigte. In der Leere schwirrten Gedanken und Empfindungen auf und ab und hin und her.
Die alten Meister gaben dem Anfänger die Aufgabe, den Atem zu zählen, hatte ich gelesen. Zählen? Wie denn, wenn ich über die Langeweile nachsinnen mußte? Wenn sich in die Langeweile eine Unzufriedenheit mischte! In den Ohren rauschte das Blut und im Mund sammelte sich Spucke.