Ob der Roshi, der eben den Saal betritt, die Antworten kennt? Kann er, der lebendige Buddha, mit seinem Schwert meine Illusionen zerschneiden? Ich hebe meinen Kopf und folge ihm mit den Augen. Sehr aufrecht, sehr gemessen hat der Löwe die Schwelle übertreten. Kurzes eisgraues Haar, eine fleischige Nase und weite Ohren ahne ich in der Dunkelheit. Der Roshi hat sogar in seiner fließenden schwarzen Robe und dem purpurfarbenen Mönchs-Umhang eine athletische Silhouette: Schwimmer. Oder Boxer. Mag sein – aber jetzt ist er Abt dieses Tempels; und Tempel ist überall, wo er sitzt. Der Roshi hat seine Hände vor der Brust zusammengelegt und steht in der Mitte des Raums. Wo hat er sein Schwert gelassen? Er blickt einmal im Halbkreis, prüfend, und sein Blick trifft meine Augen. Ich sehe schnell nach unten. Er braucht kein Schwert. Seine schweigenden Augen genügen.
Ich kenne den Roshi seit zehn Jahren und habe die Illusion, daß er die Antworten kennt. Wie wird er sein Schwert benutzen?
»BONG – Tschak – BONG…« tönt die große Klangschale. Die Nonne hinter den Glocken und Gongs hat sie angeschlagen, abgedämpft und wieder angeschlagen. Jikido heißt ihre Position und sie gibt die Zeit und ist für die Ordnung im Meditationsraum verantwortlich.
In die verebbenden Klangwellen des letzten Schlages hinein beginnen wir fünfzig Menschen einen Vers zu rezitieren, in dem wir geloben, die Verantwortung für unsere Taten zu übernehmen. Ich flüstere den Vers mit den Lippen, ich meine es ernst. Ich taste nach meinem Schwert.